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Nachtrag / Update zur Mediensituation in Haltern

Liebe Leute,

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Kerzen Dienstag Abend auf einer Tischtennisplatte

zunächst Ihnen vielen, vielen Dank für die ganzen netten Worte! Auf vielen Kanälen (Facebook, Twitter, Mail und sogar Xing) erreichten mich viele Schreiben, auch von Angehörigen aus anderen Städten sowie Menschen, die ähnliche Ereignisse durchmachen mussten. Dabei: Winnenden, ein größeres Busunglück, ein anderer Angehöriger von Flug 4U9592, einige weitere Unfälle… Bei allen war der Tenor derselbe: Gut, dass mal darüber gesprochen wird! Hier nur zwei der vielen Beispiele:

Was ich aber sagen kann ist, dass diese plötzliche Medienpräsenz sowie eine Verbindung zu dem geschehenen bei mir einen erstmaligen Backflash verursacht hat wie ich noch nie hatte und nun selbst sehen muss wie ich damit umgehe. – ein Betroffener mit einer ähnlichen Situation, unabhängig von Flug 4U9525

 

(…)Und ich habe damals ebenfalls die Medien erlebt – So Übel !!! Hier bei Euch in Haltern, wie damals in Winnenden dasselbe Verhalten der Berichterstatter. – und das wusste ich vom 1. Tag an, dass das wieder so kommt. Diese Kack-Sensationslüsternen Medien. …NICHTS hat sich verändert. in Winnenden wurden sogar Schüler gefragt, ob sie die Situation „nachspielen“ wollen (Da gibt es keine Worte mehr) – Freund einiger getöteten SchülerInnen in Winnenden

Um mal deutlich zu machen, wie ich in der nächsten Zeit vorgehen möchte – immerhin werde ich bereits mediengeil genannt – hier einmal ein kleiner Einblick in meinen Plan, falls mir die Möglichkeit dazu geboten wird:

Zuerst liegt meine Priorität dabei, vielen Menschen klar zu machen, dass es Kritik an der Sensationspresse gibt. Dem Boulevard-Zeitungsleser ist das meist gar nicht klar. Ich erreiche diese Personen leider nicht über das ZDF oder die Zeitungen, wo der Artikel auch veröffentlicht wurde. Dennoch gibt es ja so etwas wie Mund-zu-Mund-Propaganda, die hier hoffentlich helfen könnte. Wenn sich viele daran in Zukunft erinnern können (im Sinne von „Ach, da war ja was!“), ist mein Ziel für’s Erste erreicht.

Im späteren Verlauf soll dann diese Diskussion in irgendeiner Art und Weise fortgeführt werden. Ich weiß noch nicht wie, aber hoffe auf eine anschließende sachliche Diskussion rund um die Grundlagen, wie sich Pressevertreter zu verhalten haben. Konkret wäre das der Umgang mit Minderjährigen, einer genaueren Befolgung des Pressekodex‘ sowie dem von mir bereits geannnten Gedankenspiel: Dem Versetzen in diese Lage.

 Und wenn man denkt, es wäre alles erzählt…

… Da kommt die Bildzeitung und bringt mit einem Exklusiv-Video die letzten Sekunden des Fluges an die Öffentlichkeit. Ich verzichte mal auf einen Link, es ist nicht mehr als ein Blender. Ja, auch ich möchte gerne wissen, was passierte – doch das soll erst einmal Teil der Ermittler sein. Diese haben nämlich einen deutlich besseren Überblick über die Geschehnisse als das gesamte Bild-Team zusammen.

Jetzt geht es natürlich wieder an die Spekulation – wie ist Bild an das Video gekommen? Bestimmt gab es die Infos nicht für lau. Und wieder kann nichts bewiesen werden, weil beide Seiten wohl kaum über diesen Deal sprechen werden.

Gate B in Düsseldorf: Kerzen für Angehörige
Gate B in Düsseldorf: Kerzen für Angehörige

Wer an der Echtheit des Videos zweifelt: MicroSD-Karten halten viel aus. Verdammt viel. Und wenn diese kleinen Karten „gepolstert“ aufschlagen, gehen die Chips auch nicht kaputt. MicroSD-Karten haben keine beweglichen Kleinteile, dadurch sind sie im Prinzip noch sicherer als SSDs in PCs, weil letztere die verlöteten Bausteine bei großen Belastungen verlieren können.

Schade: Es scheint so, dass auch seriöse Medien / Sender wie CNN über das Video berichteten (bereits gelöscht, warum wohl?). Finde ich nicht gut und hätte man jetzt auch nicht unbedingt erwartet.  Denn auch hier gilt: Die Sensationsgeilheit wird wieder belohnt, der Einkauf (?) hat sich für Bild gelohnt.

Laut Staatsanwaltschaft gibt es noch nicht einmal ein Video, zumindest liegt es dem Ermittlungsausschuss noch nicht vor. Lügt Bild hier also für die Quoten?

Widerspruch mit Spiegel-Aussage

Ich behauptete in meinem Blogeintrag zunächst, dass Spiegel bei den Angehörigen geklingelt hätte. Auf Twitter eskalierte das Ganze ein wenig.  An dieser Stelle auch von mir der Hinweis: Es kann natürlich auch ein anderes Medienunternehmen gewesen sein, das unter falscher Flagge unterwegs war. Wie ich bereits auf Twitter feststellte: Angehörigen ist es in einer solchen Situation wohl kaum zuzumuten, das Ganze in fotografischer Form für die Beweisführung festzuhalten.

Dennoch hält meine Quelle weiterhin an dem Besuch durch Spiegel fest. Es steht Aussage gegen Aussage – und ich hoffe, dass es nicht zur Wahrmachung der von Stefan Niggemeier „Drohung“ genannten Konsequenz kommt.

Heute in Haltern: Trauergottesdienst

„Die können sich ihr Mikro mal alle in den Allerwertesten schieben!“ Soweit einer der Halterner, die heute an mir vorbei gelaufen sind. Doch die Medien waren heute noch zurückhaltender. Soweit, so gut. Wer die Nachrichten heute bei ZDF sah, fand eine genau richtige Berichterstattung aus Haltern. Sprich: Keine Nahaufnahmen, genügend Abstand. Ich war mit den Redakteuren heute unterwegs und wir sprachen viel über die Aufstellung respektive die Art der Berichterstattung. Torge: Haste‘ gut gemacht mit dem Team!

Negativ ist Tele France 1 aus Frankreich aufgefallen. Trotz dem Verneinen einer Interviewanfrage legte die Moderatorin mit der zweiten Frage los. Darauf kam von mir nur die Antwort, dass sie bitte meinen Blogeintrag lesen solle. Sie ging mit ihrem dreiköpfigen Team übrigens auch anderen Menschen auf die Nerven. Schade eigentlich, wo alle anderen sich eigentlich zurückhielten.

Okay, Bild meinte, es wäre ein Liveticker zum Gottesdienst nötig. Wer sowas gerne lesen will.. Naja.

Transparenz“bericht“: Wo der Artikel / ich in den Medien zu finden war

 Lesenswerte Links

Auf Fragen per Mail werde ich in den nächsten Tagen vielleicht mal ein FAQ schreiben. Das ist, denke ich, eine gute Möglichkeit, einen Überblick zu gewinnen.

6 Antworten auf „Nachtrag / Update zur Mediensituation in Haltern“

Also das was für mich alles getoppt hat im negativen Sinn war 2010 Duisburg, war da übrigens selbst live dabei, als man Menschen die gerade mit dem Leben davon gekommen sind, die Kamera ins Gesicht gehalten hat und ein Interview wollte, Das war übrigens nicht der WDR, um das gleich mal klar zu stellen. Die haben sie als einziger Sender vorbildlich verhalten.

Danke für das Update. Ihr Bericht, Mika, hat sich in der Tat im deutschen Journalismus herumgesprochen. Trotz einiger Ungenauigkeiten (die größtenteils wohl der Extremsituation als solcher geschuldet waren): Es war sehr gut und wichtig, dass es in dieser Deutlichkeit und Ausführlichkeit angesprochen wurde!

Es bleibt zu hoffen, dass auch die englischsprachige Version viele ausländische Journalisten erreicht. Denn einige von diesem haben sich im Zusammenhang mit „Hintergrundberichten“ zum Flugzeugabsturz – in Anführungszeichen deshalb, weil viele von ihnen völlig irrelevante Informationen und Spekulationen enthielten – offenbar gröbere Verfehlungen geleistet. Besonders krass zeigte sich dies bei britischen Boulevard-Blättern mit wildesten Spekulationen um die mutmaßliche Freundin des Copiloten von Flug 4U9525 – mit voller Namensnennung und Angaben über ihren Arbeitsort. Ekelhaft.

Neben Haltern war Montabaur in den Tagen nach der Germanwings-Katastrophe ein von vielen Journalisten heimgesuchter Ort. Grund: Ein ermittelnder französischer Staatsanwalt hatte auf einer Pressekonferenz über den Verdacht berichtet, der (möglicherweise psychisch erkrankte) Copilot habe den Absturz absichtlich herbeigeführt. Dummerweise hatte er sich dazu hinreißen lassen, den vollen Namen des Copiloten zu nennen, sowie seinen Herkunftsort: Montabaur.

Was sich dort abspielte und wie besonders ausländische Journalisten vorgingen: Darüber hat das NDR-Medienmagazin „Zapp“ gestern Abend einen entlarvenden und absolut sehenswerten Bericht gezeigt, den ich an dieser Stelle sehr empfehlen möchte:
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Draufhalten-Medien-in-Montabaur,germanwings256.html
Auffällig auch hier übrigens das sehr rabiate Vorgehen der France1-Reporterinnen. Es wurde in der Sendung ausdrücklich erwähnt, dass viele deutsche Medien ihre anfangs offensive Berichterstattung zurückfuhren, nachdem Fälle von – ich sage es mal vornehm – journalistischen Grenzverletzungen öffentlich geworden waren und Shitstorms in den sozialen Netzwerken ausgelöst hatten. Das immerhin ist ein ermutigendes Zeichen.

Machen wir uns nichts vor: Es wird auch in Zukunft nach vergleichbaren Katastrophen zu pietätlosem Verhalten, indiskreten Berichten und unappetitlichen Spekulationen über unwesentliche Dinge in den Medien kommen. Aber: Es werden hoffentlich jedes Mal etwas weniger werden. Die Halterner verdienen nicht nur unsere volle menschliche Anteilnahme, sondern auch unsere große Solidarität und Dankbarkeit für die Verteidigung der Privatsphäre von Trauernden.

hallo, eigentlich hatte ich vor an dieser Stelle für eine Weiterführung der Diskussion um das Pressedesaster zu plädieren. Das Update hat mir das jetzt abgenommen. Das freut mich.
Ihr -Angehörige, Freunde etc.- seit direkt „am Puls“ des Geschehens und solltet die Chance nutzen das Thema nicht nur weiter zu diskutieren sondern darüber hinaus vielleicht auch versuchen Einfluss auszuüben (Politik, Wirtschaft, Presse, Leser/Konsumenten etc.). Wie das im Einzelnen aussehen soll wird sich im Laufe der Zeit von selbst ergeben denke ich.
Schliesst euch mit anderen Betroffenen/Gleichgesinnten zusammen, geht an die Öffentlichkeit, „erforscht“ die Hintergründe und lasst euch von dem wahrscheinlich bald versiegendem Interesse für die ganze Thematik nicht entmutigen.
Auch in Zukunft werden ähnliche tragische Ereignisse passieren und die Pressemeute wird sich wieder wie im Blutrausch auf die Opfer stürzen.
Ersteres wird man nicht verhindern können, gegen Letzteres kann man aber Widerstand formieren. Man muss!

Ich würde euch den Erfolg wünschen.

Anmerkung zum angeblichen Bildvideo und der SD-Karte:
In Fachforen wird die Existenz dieses Videos angezweifelt. Es sprechen etliche Gründe dafür.
Die SD-Karte ist natürlich nicht alleine unterwegs sondern auch den Einwirkungen anderer Trümmerteile ausgesetzt.

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